Schule im Dritten Reich
Alltag im Nationalsozialismus
Das nunmehr 26 Jahre alte Projekt der heutigen „Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Gerhart-Hauptmann-Schüler-Kassel“ nahm 1980 seinen Anfang, als die Hamburger Körber-Stiftung die Ausschreibung für den „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“ 1980/81 veröffentlichte. Das Thema lautete „Alltag im Nationalsozialismus“ und richtete sich an junge Menschen unter 21 Jahre. Der neue Klassenlehrer der Klasse 9m der Gehart-Hauptmann-Schule in Kassel, Geert Platner, überraschte seine Schüler mit dem Vorschlag, an diesem Wettbewerb teilzunehmen und etwas über die „Schule im Dritten Reich“ zu erarbeiten.
Letztendlich hat die Klasse aber nicht an dem Wettbewerb teilnehmen können. Das gesammelte Material und die durch eine Zeitungsanzeige hergestellten Kontakte waren so vielfältig, dass den Schülern das Material über den Kopf wuchs. Es wurden Dokumente und Bücher gesammelt, Plakate organisiert und viele Gespräche mit ehemaligen Schülern und Menschen aus dem Kasseler Widerstand geführt. Die Begeisterung für das Thema war so groß, dass der Geschichtswettbewerb aus den Augen verloren wurde und dafür eine Reihe von kleineren Projekten folgte.
Ausschlaggebend war die Auffindung eines Konferenzbuches der damaligen „Horst-Wessel-Schule“ und einer Schülerkartei mit Photos auf dem Dachboden. War die Tatsache nicht an sich schon spannend genug, fand sich auch eine Karte des damaligen Hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner. Die Schüler entschlossen sich, den Ministerpräsidenten nach seiner Schulzeit zu befragen.
Am 28. März 1981 wurden die gesammelten Dokumente, Schulbücher, Plakate und Schülerphotos in der Ausstellung „Jugend & Schule im 3. Reich“ gezeigt. Die Schriftstellerin Ursula Fuchs las aus einem ihrer Bücher und es wurde auch über das Interview mit Holger Börner berichtet. Anschließend zogen die Schüler und ihre Gäste zum „Mahnmal für die Opfer des Faschismus“ auf dem Weinberg und legten einen Kranz nieder.
Die nächste Etappe der jungen Forscher war das Projekt „Schüler unterrichten Schüler“ in dem die Klasse an Kasseler Schulen ging, eine Ton-Dia-Show präsentierte und die Schüler mit eingeladenen Zeitzeugen diskutieren lies.
Selbstverständlich erschöpfte sich auch darin nicht das Engagement der Schüler. Nun wurden prominente Zeitzeugen und Opfer des Nationalsozialismus nach ihren Erfahrungen mit der Schule im 3. Reich befragt. Grundlage war der Wunsch nach Erstellung einer gedruckten Dokumentation, die die These Heinrich Bölls zur Grundlage hatte, dass nämlich die Schule im Dritten Reich ihre Schüler zum Tod hin erzog. Knapp zwei Jahre dauerte es, bis die Dokumentation in gedruckter Form vorlag. Die Liste der Autoren liest sich wie das damalige „Who is Who“ in Deutschland. Von Rudolf Augstein, über Joseph Beuys, Willy Brandt, Heiner Geißler, Ralph Giordano, Helmut Kohl, Franz-Joseph Strauß, Richard von Weizsäcker bis zum damaligen Bundespräsident Karl Carstens sind viele Politiker, Schriftsteller und Künstler zu Wort gekommen. In einer Feierstunde am 14. Mai 1983, wurde die Dokumentation „Schule im Dritten Reich – Erziehung zum Tod?“ (dtv Mai 1983 – ISBN 3-423-10119-9) in der Gerhart-Hauptmann-Schule der Öffentlichkeit übergeben. Als Ehrengäste und Redner waren damals Ralph Giordano und der Kasseler Verleger Dr. Paul Dierichs anwesend. Die Dokumentation wurde ein Erfolg. Im Januar 1984 kam bereits die 2. Auflage heraus. 1988 gab der Pahl-Rugenstein Verlag eine Neuauflage mit dem Titel „Schule im Dritten Reich. Erziehung zum Tod.“ heraus. Die These Heinrich Bölls schien sich als wahr erwiesen zu haben. 2005 konnte dann eine 4. vollständig überarbeitete und erweiterte Ausgabe erscheinen. Diesmal gefördert durch das Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten und unterstützt durch Ralph Giordano, der ein Vorwort schrieb. 300 Exemplare gingen unmittelbar an das Goethe-Institut in Bonn, welches die Dokumentation an ihre internationalen Zweigstellen weiterleitete.
Die Dokumentation war bei ihrem erstmaligen Erscheinen eine kleine Besonderheit. Es wurde nicht nur Geschichtsbuch und Lehrmittel an Hessischen Schulen, sondern auch Objekt der internationalen Politik und einzigartige Sammlung biografischer Erlebnisberichte von Zeitzeugen. 1983 war die schulische und vor allem die öffentliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit noch ein Problem. Es bestanden keine guten Beziehungen zu Staat Israel und nationalsozialistisches Gedankengut geisterte noch in zu vielen Köpfen herum. Anonyme Anrufe und Körperverletzungen waren die negativen Folgen des Engagements. Andererseits wurden die ehemaligen Schüler auch für ihre Arbeit ausgezeichnet.
Am 17. September 1983 erhielten die Herausgeber den Preis der „Paul-Dierichs-Stiftung Kassel“ und am 03. September 1985 den Förderpreis „Praktisches Lernen in der Schule“ der „Robert Bosch Stiftung“. Als Zeichen des Dankes und der persönliche Anerkennung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, konnte Christian von Kłobuczyński als Sondergast am ersten Staatsbesuch eines Bundespräsidenten in Israel teilnehmen. Der Staatsbesuch dauerte vom 04. bis 08. Oktober 1985 und hatte 1986 einen weiteren Besuch Kłobuczyńskis zur Folge. Diesmal mit seinen Freunden der Arbeitsgemeinschaft, die nun Gespräche mit dem Staatspräsidenten Chaim Herzog, dem Bürgermeister von Jerusalem Teddy Kollek und weiteren Repräsentanten des Staates Israel führten.
Diese bereits außergewöhnlichen Ehrungen und Erlebnisse könnten noch fortgesetzt werden, erscheinen aber unbedeutend vor dem Hintergrund einer Ehrung, die nicht der Gruppe, sondern dem Lehrer Wilhelm Hammann zu Teil wurde. Wilhelm Hammann bewahrte Hunderte teils jüdische Kinder des Blocks 8 des KZ Buchenwald von dem Transport in die Todeslager. Ihm widmete die Arbeitsgemeinschaft ihre Dokumentation und für ihn konnte sie am 14. Oktober 1984 einen Baum in der Allee der Gerechten in Yad Vashem pflanzen.
Wilhelm Hammann ist ein Beispiel, dass es neben der nationalsozialistischen Erziehung, die auf Krieg und Tod vorbereitete, auch eine Erziehung zum Leben und eine Schule des Überlebens gab. Heute trägt sogar eine Erfurter Schule den Namen dieses außergewöhnlichen Lehrers, der nach dem Krieg Berufsverbot hatte und 1955 an den Folgen eines Verkehrsunfalls mit einem amerikanischen Panzer starb.
Die Dokumentation ist im Handel erhältlich und kostet 24,90 € (ISBN 3-89144-363-3). Für Fragen steht Ihnen der Institutsgründer Christian von Kłobuczyński gerne zur Verfügung.